MSync

Unerwartetes, Fremdes ereignet sich im Leben unentwegt. Sei es eine berufliche Veränderung, ein Wechsel des Wohnortes, eine Veränderung in der Partnerschaft, der Tod eines Angehörigen oder eine unerwartete Diagnose, die alles bisherige auf den Kopf stellt. Um die Herausforderungen, die mit derartigen Umbrüchen einhergehen “meistern” zu können, braucht es Kreativität. Kreativität, um neue Perspektiven auf die eigene Lebensituation einnehmen zu können und so Wege zu finden, um sich Problemen gegenüber positiv zu verhalten oder diese im besten Fall zu lösen. Wir möchten Menschen in diesen besonderen Umbruchsituationen die Möglichkeit geben, zu sich und ihren Fähigkeiten zu finden, um an der Herausforderung zu wachsen und ihr Leben mit Selbstgewissheit und Achtsamkeit zu bereichern.
Künstler mit einem – aus der Common-Sense-Perspektive exotischen, also von der Norm abweichenden Lebensentwurf, schaffen immer wieder neue unwahrscheinliche Dinge aus der eigenen Imagination heraus. Diese Akteure zeichnet ihre Fähigkeit, durch instabile Verhältnisse und Wahrheiten zu navigieren, aus. Es ist ihr Vermögen, im Leben immer wieder neue Seiten und Standpunkte einzunehmen, als inspirierende Quelle kontinuierlicher Selbsterneuerung. (Bernhard Waldenfels)

MSync ist eine Initiative, um Menschen, die mit der Diagnose Multiple Sklerose konfrontiert sind, einen Raum zu geben, an dem sie das Ereignete emotional einordnen und sich die Zusammenhänge der Diagnose aktiv erarbeiten können.
Mit dem MSync verdichtet sich sozial engagierte Kunst zu einem Ort für Leben, Neuorientierung und Rekonvaleszenz.

Konzept

Vision

Ziel ist es Mündigkeit und Selbstverantwortung zu fördern. Konkret wird künstlerisches Denken als salutogener Ansatz für Menschen mit einer chronischen Erkrankung zugänglich gemacht.

Situation

In der Auffassung klassischer Medizin wird Krankheit als Störung und Beeinträchtigung des Lebensflusses bewertet (pathogene Perspektive). Der Medizin fällt die Aufgabe zu, den kranken Menschen wieder in einen Zustand vollständiger Gesundheit zu versetzen. Bei wachsenden Kosten konventioneller pharmakologischer Interventionen, auch vor dem Hintergrund der demographischen Veränderungen, stellt sich für die Gesundheitswirtschaft die Frage wie dieses Paradigma realisierbar ist.
Über den ökonomischen Aspekt hinaus steht zur Disposition, inwiefern der Fakt, das Krankheit ein Aspekt des normalen Lebensvollzugs ist [1], dazu führen muss, das sich unser Verhältnis zu Krankheit grundlegend ändern sollte. Die Salutogenese, bei der der Fokus auf den “funktionellen” Anteilen des Patienten liegt, hält hierfür ein Konzept bereit. Dabei wird das Prinzip der Pathogenese, das beim chronisch Erkrankten die Erfahrung permanenter oder gar wachsender Invalidität erzeugt, durch “eine „Gesundungs-Sicht“, bei der der Patient seine nach wie vor „funktionellen“ Anteile wahrnimmt und die salutogenen Ressourcen eines adaptiven Krankheitsumganges zu nutzen lernt.” ersetzt.

Künstlerisches Denken als salutogene Strategie für chronisch Kranke

Künstlerisches Denken ist als Komplementär zum wissenschaftlichen Denkens zu verstehen. Prinzipiell ist künstlerisches Denken eine Praxis, die allgemein geläufig ist, die aber durch die Disziplinierung zu rational-logischen Denken verkümmerte.
Drei als wesentlich erachtete Eigenschaften künstlerischen Denkens seien vorab benannt: Es gründet in einer sensiblen Wahrnehmung, es reflektiert kritisch auf relevante Kontexte und bezieht dabei immer wieder den Autor selbst mit ein und fordert sein Urteil heraus. Weiter ist das künstlerische Denken bestimmt durch die Imagination, die Fähigkeit zu eigener Vorstellungsbildung. Schließlich ist künstlerisches Denken assoziiert mit Subversion, Neugier, Offenheit, sowie dem Gestaltungswillen, sich neu zu erfinden und zu positionieren und unkonventionelle Wege zu gehen.[2] Damit setzt der erfolgreiche künstlerische Denkprozess eine starken Verbindung zum ‚Eigenen/Selbst’ voraus[3], ist also auch Grundlage für selbstverantwortete Urteile, Werte und Handlungen. Künstlerisches Denken, das implizit auch grenzüberschreitend ist, wird oft als Provokation eingeordnet und führt dazu, dass Künstler sich außerhalb des Zentrums der Gesellschaft verorten und so, wenn auch “freiwillig” eine ähnliche Position einnehmen wie chronisch Kranke die bestimmten Normativen sozialer Bedingtheiten nicht entsprechen können. Künstlerisches Denken bietet uns die Möglichkeit das Absurde und die konstruierte Verfasstheit unserer Lebensrealität zu erkennen und zu integrieren. Dies ist die Basis für die Ausbildung von Kontingenz-Kompetenz, was nichts anderes bedeutet als die Neubewertung der persistierenden Auswirkungen, sprich: den Pathos[4] als das sich Ereignende, anzunehmen.

Potential

Die Korrelation von künstlerischem Denken und Copingstrategien (Bewältigungsstrategien) ist insbesondere beim Self-Empowerment evident. Die relative Unabhängigkeit von sozialen Zuschreibungen, das regelmässige Reframing der eigenen Bedürfnisse und Möglichkeiten beschreiben aktives Coping bei chronisch Kranken. Dieser Fähigkeit liegt die Betrachtung von Krankheit aus einer anderen Perspektive als der gewohnten (pathogenen) zugrunde. “Weg von der „Defizienz-Sicht“, in der sich der Patient nur als (passiv) Erleidender empfindet und auf seine Krankheitssymptomatik reduziert ist, hin zu einer „Gesundungs-Sicht“ die auf persönlichem Engagement gründet.”[5] Künstlerisches Denken wird als Befähigung zur Autorenschaft eingesetzt. Jeder ist nicht nur fähig, sondern auch aufgefordert zur Hervorbringung von Bedeutungen, Urteilen, Werten und Handlungen, die er als Urheber selbst zu verantworten hat. Damit gestaltet er nicht nur sich als Persönlichkeit und seine Lebensführung, sondern nimmt implizit oder explizit Einfluss auf die Gesellschaft.[6]

Projekt

Die bereichernde Qualität von künstlerischen Denken für den Coping-Prozess chronisch Kranker ist nur als selbst-erarbeitete Erfahrung erlebbar. Damit ist die deutliche Differenz zu jeglichen kunst-therapeutischen Ansätzen hergestellt. Explizit wollen wir uns von jeglichem “»werkeln und dreckeln«, »Kunst produzieren« oder »in die Farbe tauchen« beziehungsweise dem Klischee von “Kreativworkshops”[7] distanzieren. Die Erfahrung künstlerischen Denkens erzeugt sich aus den alltäglichsten Handlungen – gerade durch die Problemlösung einer physischen Unwägbarkeit. Die Veränderung der Perspektive bedarf keiner mühevoll zu erlernenden repetitiven Übung, sondern der Freiheit einen neuen Standpunkt einzunehmen. Der Aufmerksamkeit, der Wahrnehmung des Besonderen einer alltäglichen Situation.

Der Übertrag künstlerischen Denkes auf die Situation chronisch Kranker ist darauf ausgerichtet, “dass sich der Patient vor dem Hintergrund einer erhöhten Selbstkontrolle und vermehrtem Selbst-Management wieder als aktiv sein Leben Gestaltender erfährt”.[8] Das inhärente Potential von Selbstwirksamkeit des Einzelnen, wird innerhalb von mehrwöchigen Aufenthalten zur umfassenden Selbstkompetenz entwickelt und zu Eigenverantwortung im Copingprozess ausgebaut.[9]

Ort

Die Seminare werden an einem ruhigen Ort stattfinden an dem 8-10 Teilnehmer wohnen können. Die Entscheidung zu einer zurückgezogenen Situation fällt vor dem Hintergrund der maximalen Konzentration, bei der der Einzelne einerseits in Gemeinschaft – und andererseits auf sich selbst zurückgeworfen ist und sich zur Autorität seiner selbst entwickeln kann.

Romy und Stef Richter, September 2012

[1] Farideh Akashe-Böhme und Gernot Böhme, Mit Krankheit leben, S. 62, 63

[2] Carl-Peter Buschkühle, Bilderkultur und künstlerisches Denken- Aspekte zur Theorie und Praxis künstlerischer Bildung in : Ästhetische Forschung: Wege durch Alltag, Kunst und Wissenschaft. Zu einem innovativen Konzept ästhetischer Bildung
von Antje Danner, Peter Gansen, Corinna Heyd, Gabriele Lieber, S. 55f

[3] Arno Grün, „Der Fremde in uns“, S.22

[4] Die Entdeckung des Selbst, das >ich< sagt, bevor es als >Subjekt< tituliert wird, und das in seiner Selbstbezüglichkeit das Beziehungsgefüge das Ganzen sprengt, und dazu die Entdeckung einer radikalen Kontingenz, die nicht nur die offenen Spielräume einer Ordnung nutzt, sondern die Ordnung selbst antastet. Bernhard Waldenfels, “Grundmotive einer Phänomenologie des Fremden”, S.42 ff

[5] Bernhard Waldenfels, “Grundmotive einer Phänomenologie des Fremden” S.42 ff

[6] Prof. Dr. med. Arndt Büssing, Prof. Dr. Wifried Schnepp, Lebensqualität, Spritualität und Coping, 2012-2013

[7] Carl-Peter Buschkühle, Bilderkultur und künstlerisches Denken- Aspekte zur Theorie und Praxis künstlerischer Bildung in : Ästhetische Forschung: Wege durch Alltag, Kunst und Wissenschaft. Zu einem innovativen Konzept ästhetischer Bildung
von Antje Danner, Peter Gansen, Corinna Heyd, Gabriele Lieber, S. 55f

[8] Ursula Bertram, ‘Künstlerisches Denken und Handeln’ in „Kunstforschung als ästhetische Wissenschaft” hrgg. Martin Trödle und Julia Wärmers, S. 293 ff

[9] Prof. Dr. med. Arndt Büssing, Prof. Dr. Wifried Schnepp, Lebensqualität, Spritualität und Coping, 2012-2013

Selbstwirksamkeit

Selbstwirksamkeit– Achtsamkeit und Akzeptanz
Drei Kernbegriffe fassen den Ansatz von MSync zusammen.

Selbstwirksamkeit bezeichnet den starken Glauben an die eigene Kompetenz und befähigt auch in schwierigen Situationen zu selbstständiger Handlungsfähigkeit.
Achtsamkeit nimmt wahr ohne zu bewerten. Sie fördert die Klarheit, sowie die Fähigkeit, die Realität des gegenwärtigen Augenblicks wirklich wahr-zunehmen, zu akzeptieren und schätzen zu lernen.
Akzeptanz entsteht aus dem aktiven Prozess eine Irritierende Situation anzunehmen und ist damit die Grundlage, um ein gutes Leben, trotz möglichen Einschränkungen, zu leben.

Interview

Was ist die Vision von MSync?
Versuchen Sie sich einen Ort der Rekonvaleszenz und gleichzeitig der Selbstermächtigung vorzustellen. Die Qualität des Ortes besteht in der Flexibilität der Optionen. Das Wichtigste ist das jeder Teilnehmer seine eigene gestalterische Kompetenz erfährt. Würden wir die Tage mit einem Stundenplan von Anwendungen und Ablenkungen belegen, verlöre das Projekt seine leise herausfordernde Qualität. Aus diesem Grund sind Regeln und Methoden bewusst suspendiert. Als einziges Strukturelement für die Teilnehmer, wie für die Künstler gibt es den Termin zum gemeinsamen Frühstück das wars dann aber auch schon. Wir sind überzeugt: Jeder ist in der Lage die ihm geschenkte Zeit in einer unaufdringlichen Gemeinschaft, einer sensiblen Umgebung und ohne Erwartungen und Anforderungen sinnvoll zu nutzen. Natürlich gibt es zahllose Möglichkeiten aktiv zu sein. Vom Schwimmen, Segeln, Pilze oder Beeren suchen bis hin zum Holz machen. Es wird explizit gewünscht sich in der Bewirtschaftung des Hauses über dasKochen hinaus mit einzubringen. Aber das sind immer nur Optionen, keine Pflichtveranstaltungen. Der Ort ermöglicht Rückzug und Öffnung – die Gemeinschaft bietet Motivation, Perspektive. Dies ist die Basis auf der die Gäste aufgefordert sind, ihren Aufenthalt selber zu gestalten – so wie ihr Leben- mit der Krankheit.

Was verstehen Sie unter künstlerischem Denken?
Über die erwähnten Widerstandsressourcen und damit die Voraussetzung zum künstlerischen Denken verfügen wir alle. Nur die Wege zu sich selbst und den eigenen Fähigkeiten sind mehr oder weniger verstellt. Was wir also tun, ist den Menschen den Raum zu geben um sich diese Selbstkompetenzen wieder verfügbar zu machen – das Stechlin-Institut ist ein Ort der Hilfe zur Selbsthilfe. Künstlerisches Denken gründet in einer sensiblen Wahrnehmung, es reflektiert kritisch auf relevante Kontexte und bezieht dabei immer wieder den Autor selbst mit ein und fordert sein Urteil heraus. Schließlich ist das künstlerische Denken bestimmt durch Imagination, die Fähigkeit zu eigener Vorstellungsbildung. Künstlerisches Denken ist Befähigung zur Autorenschaft (Carl Peter Buschkühle) und wirkt als Katalysator bestärkend für den individuellen Weg den die Krankheit herausfordert. Jeder ist nicht nur fähig zur Hervorbringung von Bedeutungen, Urteilen, Werten und Handlungen, er ist die Autorität für das was möglich ist.
Bernhard Waldenfels schreibt dazu: “Das künstlerische Sensorium hat keine Schranken der Selbstgewißheit oder Prinzipiellen zu überwinden, wenn es darum geht sich auf Fremdes einzulassen.” Künstlerisches Denken ist die Perspektive des Hauses. Die Notwendigkeit des Alleinseins sowie die der Gemeinschaft
für diesen Prozess wird in der Architektur berücksichtigt und vollzieht sich in der Struktur der Räume. Es werden sozusagen Atmosphären (Gernot Böhme) geschaffen, die den Prozess der Einkehr befördern und so werden die Künstler in entscheidendem Maße, allein durch ihre Anwesenheit das Klima im Haus prägen.

Welche Rolle nehmen die Künstler ein?
Leben heißt den unvorhersehbaren Ereignissen zu begegnen und die unvermeidlich damit einhergehenden Bedingungen zu stabilisieren. (Bernhard Waldenfels) Also braucht es im Leben unentwegt Kreativität sich zu Problemen zu verhalten und diese im Besten Fall sogar zu lösen. Dies ist das Feld der Künstler.
Als “Paradiesvögel”, als Ausnahmen – mit einem, aus der Common-Sense-Perspektive exotischen, also von der Norm abweichenden Lebensentwurf schaffen sie immer wieder diese neuen unwahrscheinlichen Dinge aus sich selbst heraus. Ist es nicht einfach diese Fähigkeit durch instabile Verhältnisse und Wahrheiten zu navigieren, die diese Akteure auszeichnet? Immer wieder neue Perspektiven und Standpunkte einzunehmen? Und könnte man nicht ausgehend davon z.B. Gesundheit eher als Vermögen verstehen, mit Einschränkung und Beschädigung gut zu leben? Bernhard Waldenfels schreibt den Künstlern eine besondere Fähigkeit zu, die darin besteht Ambiguität auszuhalten. Er sagt: Künstler machen sichtbar was unsichtbar ist. Künstler verändern nicht was störend ist – sie produzieren eine andere Perspektive darauf. Die Kunst ist eine Disziplin, ein Verfahren das Abweichung, Überraschendes, Überflüssiges sichtbar zu machen, um den Gang der normalen Erfahrung und Wahrnehmung zu durchbrechen.
Und dies ist die Basis auf der das StechlinInstitut erfahren wird: Eine emanzipierte Perspektive auf die eigene Situation, im Besten Fall frei von fatalistischen Wertungsautomatismen. Übrigens auch eine Strategie aus dem Kontext der Kunst: Der temporäre Rückzug in ein “ländliches” Umfeld mit dem Ziel der Übersicht, der Klärung. Das Zusammenleben mit Künstlern bedeutet in erster Linie Auseinandersetzung mit einem vorerst fremden, zumindest anderen Lebensentwurf. Im Moment der Neuordnung, zu dem die Betroffenen herausgefordert sind, wirkt das Erleben von Wirklichkeiten anderer Ordnungen stabilisierend und motivierend. Es ist die Selbstwirksamkeit der Patienten, die in der Begegnung mit den Künstlern angesprochen wird. Es sollte aber auch erwähnt werden, dass die Künstler mit der gleichen Unsicherheit der Situation konfrontiert sind. Die Begegnung findet demgemäß auf Augenhöhe statt und bietet auch den Künstlern das Potential die eigene Situation zu reflektieren.

Was bewirkt der Impuls von MSync?
Menschen die hier herkommen befinden sich in einem Ausnahmezustand. All ihre bisherigen Selbstkonzepte sind aufgehoben bzw. bedroht. Diese Erfahrung löst einen Prozess aus,
in dem der Erfahrende sich selbst ändert und mit ihm auch die Welt um ihn herum. Also ein Prozess der Entstehung von Welt und der Wandlung von Welt. Es sind Umbrüche der Erfahrung: ein Schock oder Ereignis, das Menschen veranlasst neu hinzuschauen, neu hinzuhören. D.h. etwas widerfährt bzw. geschieht jemanden – Bernhard Waldenfels bezeichnet das als Pathos worauf ein Antworten folgt, das die Erfahrung transformiert (z. B. das Widerfahrene wird in Worte gebracht). Das Widerfahrniss ist immer ambivalent, eine Störung die meine Gewohnheiten verletzt, das Aufmerksamkeit verlangt für Abweichendes. Dies fordert Ambiguitätstoleranz, Ambiguitäten auszuhalten, denn diese sind der Ausgangspunkt für fruchtbare Neuerungen. Die Frage ist: Wie können die Betroffenen diesen Irritation selbstwirksam und vor allem nachhaltig begegnen. Wir schaffen mit dem Institut einen Ort, an dem Menschen eine geschützten Raum/Umfeld/Zone finden um ihren Zweifeln und Ängsten zu begegnen. Wir bieten Rahmen und Beistand,
damit die Betroffenen ihren Weg finden “den Schalter umzulegen”: Vom passiven Opfer zum aktiven Gestalter der eigenen Situation zu werden. Der Ort ist dafür gewissermaßen
die Hardware für diese Bewegung zu sich selbst. Der Grundgedanke des Stechlin-Instituts ist der Freiraum, das Alleinsein wie der Beistand der Gemeinschaft. Auch die
Ernährung, die durch Zutaten aus Garten, Wald und See bereichert wird, und von den Patienten und den Künstlern frei zubereitet wird, ist als sinnliche Erfahrung teil des Ganzen auf dem Weg zur Neuorientierung, ebenso wie die Umgebung mit ihren Wäldern und Seen.

Was verstehen Sie unter einem gesunden Kranken?
Durch gezieltes Coping und differenziertes Krankheitsmanagement ist es möglich ein souveränes Leben mit einer chronischen Krankheit zu leben. Sich mit der Krankheit nicht in erster Linie defizitär zu fühlen, sondern einfach different zum Grossteil der Bevölkerung. Im Zentrum steht dabei die Fähigkeit zur Kontingenzbewältigung, also über die Bewertungen gesund/krank hinaus zu wachsen. Die Suche nach dem Sinn hinter der Krankheit, das Hadern mit sich und der Welt aufzugeben und durch ein Selbstbewusstsein zu ersetzen, das auch Abhängigkeiten ertragen und Schwächen eingestehen kann. (Gernot Böhme) Die Bewältigung der Angst, Gelassenheit gegenüber möglicher Progredienz die aus solcher Erfahrung erwächst, geht über das übliche Compliance Verhalten, also Therapietreue, hinaus. Die Mobilisierung der inneren Kräfte verstärkt Lebens-lust und -Mut, denn der Mensch erfährt, dass es in seiner Hand liegt mit einer Krankheit ein “intaktes” Leben zu leben. Der „gesunde Kranke“, der trotz seiner schweren Erankung offen Selbstbestimmung und Verantwortung für sein eigenes, ungewöhnliches Leben übernimmt. MSync fördert die Perspektive, die den Menschen endlich als mutigen Souverän etabliert, dessen Eigensinn und Stärke wesentlicher Faktor des “intakten” Lebens ist.

Wie sieht ein Aufenthalt für einen MS-Erkrankten konkret aus?

Künstlerisches Denken ist methodologisch nur bedingt erfassbar und so auch kaum quantifizierbar, eben weil es auf der Freiheit und dem Impuls des Eigenen gründet und sich
vorgefertigten Bedingungen entzieht. Das deckt sich auch mit dem Profil der MS. Bei dieser Krankheit gibt es keine vordefinierten Abläufe. Nichts ist berechenbar.
Diese Menschen können an einem Tag symptomfrei sein und am nächsten Tag erhebliche motorische oder sensorische Beeinträchtigungen erleben. Dies ist die Realität der Menschen auf die wir die Angebote ausrichten können. Der 4-wöchige Aufenthalt hat das Ziel den Patienten mit seiner Krankheit gesunden zu lassen. Dies soll auch durch Möglichkeiten zu Aktivitäten unterstützt werden, denn natürlich bietet die Seen- und Waldreiche Landschaft, wie Garten und Küche einen ganzen Strauss an Möglichkeiten. Fast noch wichtiger als die Möglichkeiten zur Aktivität ist uns der räumliche Rahmen der Ankommen, Loslassen, Öffnen befördert, das Mit sich und den anderen sein. Einerseits aus der Welt der alltäglichen Notwendigkeiten zu kommen und andererseits in die Welt grundsätzlicher Fragestellungen eintauchen zu können. Hierfür steht ganz praktisch neben den gemeinschaftlich nutzbaren Räumen, von denen die Küche im Zentrum der sozialen Interaktion steht, für jeden Gast ein eigenes Apartment mir Bad/WC zur Verfügung

Wie wird die Schulmedizin auf Ihren Ansatz reagieren?

Alternative Ansätze werden kaum noch stigmatisiert. Die Probleme des Gesundheitsystems sind bekannt. Überlastete Mediziner, Kostenexplosion und Engpässe bei der Prävention.
Neue Angebote werden im Rahmen der New-Public Health, der Gesundheitsförderung und Stressbewältigung zunehmend positiv wahrgenommen und integriert. Fakt ist: Die konventionelle Medizin kann präventive Massnahmen momentan nicht im gefordeten Umfang leisten. Da wir seit Beginn unserer Konzeption in engem Austausch mit Medizinern stehen, wissen wir, das unser Engagement begrüsst wird. Die Erfahrungen aus der Praxis von MSync am Stechlin-Institut werden mit Spannung erwartet.

An welcher Stelle sehen Sie sich in unserem aktuellen Gesundheitsmarkt?
Der Sachverständigenrat im Gesundheitswesen hat deutliche Defizite bei der Versorgung chronisch Kranker festgestellt. Zum einen rufen Überkapazitäten Probleme wie Überdiagnostik und -therapie mit negativen ökonomischen und medizinischen Konsequenzen hervor. Zum anderen besteht eine Unterversorgung bei der präventiven und rehabilitativen Behandlung chronischer Krankheiten. MSync ist als adjunktive Massnahme zu einer, aus medizinischer Sicht, guten Basal-Versorgung von chr. Kranken in Deutschland zu sehen. Die Ersatzkassen sehen in einer wirksamen Prävention eine lohnende Investition in die Zukunft: “Prävention wird als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe hoher Dringlichkeit aufgefasst, die zwischen den zahlreichen Akteuren besser koordiniert werden muss.” Das lesen wir als Einladung.

Inwiefern ergänzt / ersetzt Ihre Methode gängige Behandlungskonzepte?
Wir verstehen MSync als Dialog vergleichbar mit der sokratischen Gesprächsführung, wobei Mäeutik, verstanden als der didaktische Aspekt, die Vorlage bildet für einige Methoden die heute vielfältig ihren Einsatz finden. Aber noch wichtiger ist vielleicht der Übertrag des Konzepts vom “gesunden Kranken”. Was bedeutet: Die grundsätzliche Verantwortung für die Krankheit liegt bei den Menschen selbst. Das begreift die Krankheitsbewältigung, Coping, Compliance und Kontingenzbewältigung gleichmaßen mit ein. Entsprechend wird MSync in erster Linie das Verhältnis zur Krankheit und zu sich selbst ändern und erst in zweiter Instanz und vielleicht die Medikation bzw. Therapieentscheidung positiv prägen. Insofern ist es schwierig von Ersatz zu sprechen, eher von einer Aktivierung bestehender Ressourcen im Umgang mit sich selbst, Krankheit und Tod.

Worauf basiert Ihr Ansatz?
Allem voran geht unsere Überzeugung das personale Resourcen wie die der Selbstwirksamkeit und Körpererfahrung im Menschen gleichermaßen angelegt sind. Dafür steht der Begiff Conatus, steht für Anstrengung, Bemühen, Streben und ist ein Terminus, der die innere Neigung einer Sache bezeichnet, überhaupt oder hinsichtlich einer spezifischen Eigenschaft weiter zu bestehen (Persistenz, Selbsterhalt) oder größer zu werden. Conatus kann sich auf mentale oder materielle Gegenstände beziehen, etwa auf den instinktiven „Wunsch zu leben“ oder auf unterschiedliche Typen von Bewegung und Trägheit. (Gerald Hüther: Zwei Grundbedürfnisse: 1. Ich will dazugehören. 2. Ich will etwas leisten. Im ersten Bedürfnis drückt sich die Sehnsucht nach Verbundenheit aus, im zweiten die Sehnsucht nach Freiheit.) Mit zielführendem Fragen, der Mäeutik mit der man die sokratische Dialogführung bezeichnet, ist eine didaktisch motivierte Kunst der Gesprächslenkung zur Hand. Woraus adäquate therapeutische Formate, wie u.a. Motivierende Gesprächsführung, die Rational-Emotiven Verhaltenstherapie resultieren.Darüber hinaus gibt es Analogien zu Strategien der Stressbewältigung, zur Gesundheitsförderung, zu New Public Health, der Salutogenese von Aaron Antonovsky, zum Denken von Bernhard Waldenfels, Arno Grün, Emanuel Levinas, Gerald Hüther, Carl Peter Buschkühle und Ursula Bertram.
Schon einige Jahre wird künstlerisches Denken als Methode der Wissensproduktion (Prof. Dr. Martin Trödle, Lehrstuhl für Kulturbetriebslehre und Kunstforschung an der Zeppelin Universität Friedrichshafen) und für die Ref lektion ökonomischer Prozesse (Prof. Ursula Bertram, Institut für Kunst und Materielle Kultur, TU-Dortmund) untersucht und praktiziert. Auch in der didaktischen Fachliteratur werden Transferwirkungen künstlerischer Praktiken reflektiert (Prof. Dr. Christian Rittelmeyer, Emeritus der Universität Göttingen), weiter sind es Neueste Ansätze aus der Neurobiologie (Prof. Dr. Hüther, Universität Göttingen) die eigenständiges Denken aus dem kreativen Impuls heraus unterstützen.

Welches sind die ersten Schritte der Umsetzungsplanung?
Um die wissenschaftliche Qualifizierung von MSync nachvollziehbar zu machen, ist es für uns wichtig Kooperationsverträge mit Forschungseinrichtungen zu schliessen. Mit der DMSG LV Brandenburg ist bereits ein Kooperationsvorhaben bei der Aktion Mensch beantragt. Hinzu kommen zwei Lehrstühle an den beiden Kunsthochschulen Berlins. Weiter gibt es Gespräche mit der Charité in Berlin, der Universität Witten/Herdecke sowie der Zeppelin Universität in Friedrichshafen. Da die Architektur im Kontext ihrer näheren Umgebung einen wesentlichen Aspekt des Projekts bedeutet, war der Erwerb einer entsprechenden Immobilie samt ihrer Umgestaltung unumgänglich. Nun gilt es diese für den Dauerbetrieb zu entwickeln. Diese Schritte werden im Rahmen der Stechlin-Dialoge gedacht und ausgearbeitet.

Wie wird sich MSync finanzieren?

Während das Versorgungsmanagment von Regeleinrichtungen schwer auf die stark variablen Parameter von chronisch Kranken adaptierbar ist, ist MSync grundsätzlich patientenzentriert orientiert. Quasi als Nebeneffekt kosten unsere “Leistungen” dadurch deutlich weniger. Durch die gezielte Förderung des Self-Empowerment wird der Patient im wesentlichen selbst zum Leistungsträger. Wir schaffen dafür das Setting. Durch diese personal-extensive Arbeitsweise arbeitet das Institut sehr kosteneffizient. Die ersten beiden Jahre ist das SI als Forschungsprojekt geplant. Für diese Phase der Evaluation hoffen wir auf Kooperationspartner bei den gesetzlichen Krankenkassen bzw. den Ersatzkassen, auf die Unterstützung von Stiftungen, auf regionale Förderprogramme, sowie auf Wertschätzung unserer Arbeit durch die Kunstförderung. An der langfristigen Konzeption der Trägerschaft werden wir nach der Initialisierung des Projektes arbeiten.

Wie planen Sie Ihr Konzept später auszubauen?

Mit den Stechlin-Dialogen wird MSync in den nächsten Jahren initialisiert. 2018/2019 soll der Umbau für den Dauerbetrieb des Instituts erfolgen. Perspektivisch soll es ein bundesweites Angebot diesen Formats geben. Ein Bedarf wurde für fünf bis sechs Häuser bundesweit ermittelt. Entsprechend werden Häuser in verschiedenen Bundesländer entstehen, die durch die Peers/Alumni betreut werden. Ein weiterer wesentlicher Aspekt wird der Aufbau einer jungen Community sein und die Entwicklung einer sehr differenzierte Datenbank von und für MS-Betroffene werden.